VA RST 2018 kBeim Kanutag in Bremen geht es auch um Manöver in schwierigen Situationen
23.04.2018 im Weser-Kurier- Sportteil vom 24.4.2018, Seite 27

Kanutag in Bremen: Auf dem Grambker Sportparksee trainieren fast fünfzig Seekajakfahrer für die nächsten Touren unter den Inseln. Im Atlantik-Hotel am ­Airport berät der Verbandsausschuss des Deutschen Kanu-Verbandes über den Kurs für die 120 000 Mitglieder in 1300 Vereinen. Und am Abend lässt sich anhand historischer Fotos lernen, dass die ersten Wassersportler Bremens Paddel in den Händen hielten.

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Elke Grunwald holt mittels eines Pfiffs durch zwei Finger das halbe Hundert Seekajakfahrer vom ganzen Strand zusammen. Bevor in vier Gruppen auf dem Wasser geübt wird, spielt die Trainerin von Salzwasserunion und Deutschem Kanu-Verband die schlimmste Situation für einen Paddler lieber erst einmal auf dem Trockenen durch: Beim Mann-über-Bord-Manöver braucht es den Helfer im zweiten Boot, der das Unfallboot lenzt, stabilisiert und so den Wiedereinstieg überhaupt erst möglich macht. „Heel Hook“, ­V-Einstieg und Paralleleinstieg heißen die drei Selbstrettungsvarianten. 

Menschen in dicken Trockenanzügen, den Neopren noch drunter, schwitzen robbend auf der grünen Wiese. Wer sich raus in die Nordsee wagen will, muss vorbereitet sein, findet Elke Grunwald: „Und wir bekommen da draußen regelmäßig Zuspruch von den Seenotrettern. Wenn die uns von ihren Schiffen sehen, sagen sie nur: Um euch müssen wir uns keine Sorgen machen. Ihr wisst, wie ihr euch auf dem Wasser verhalten müsst.“ 
 Rein ins Wasser. Am Morgen haben sie den Vorwärtsschlag in Wind und Welle trainiert, jetzt klammern sich immer wieder freiwillig über Bord gegangene Kajakfahrer im sogenannten Affensitz um den Bug des Begleitbootes. Dessen Paddler hat in der Situation mehr zu tun als der Pechvogel im Wasser. Elke Grundwald: „Ihr zieht das andere Boot im 90-Grad-Winkel über eures und kippt es an, damit das Wasser rausläuft. Ihr müsst das nicht bis auf den letzten Tropfen lenzen.“

Das ist dann auch der große Unterschied zwischen Seekajaks oder beispielsweise offenen Kanus wie Kanadiern: Seekajaks sind durch zwei geschlossene Abteilungen vorne und hinten praktisch unsinkbar. Wenn allerdings bis zu einhundert Liter an Gepäck und Campingausrüstung in diesen Kammern stecken, wird das Zieh-, Kipp- und Lenzmanöver für den Helfer Schwerstarbeit. Bei den Trainern sieht das aber fast mühelos aus. Rutsch, rutsch und flutsch und schon kann weitergepaddelt werden. Und wie das in Welle und Brandung wäre, wird Elke Grunwald gefragt: „Die Wellen vergesst ihr in dem Moment wirklich komplett, weil ihr euch voll auf das Manöver konzentrieren müsst“, verspricht die Trainerin. 

Und wenn es doch einmal so gar kein Wetter für die Nordsee ist? Heiko Vetter, der mit Elke Grunwald das RST, das Regionale Sicherheitstraining, organisiert, lässt da keine Ausreden für ein Wochenende auf der Couch gelten: „Wenn es auf der Nordsee nicht geht, hat man die Ostsee. Und geht es da nicht, fährt man auf einem Fluss wie in den Elbauen, was auch sehr schön sein kann.“ Neue Autos sucht er grundsätzlich mit der Fragestellung aus, ob sein 5,20 Meter messendes Seekajak hineinpasst und die zulässige Dachlast groß genug für weitere Boote ist. 

Die Faszination des Kajakfahrens kann Vetter erklären: „Man ist unglaublich nah an der Natur und dem Wasser dran. Du hast ja gerade einmal 15 Zentimeter Freibord.“ Elke Grunwald ergänzt: „Und man kommt in Ecken, wo nicht einmal mehr Segler hinkommen. Wir haben ja praktisch gar keinen Tiefgang.“ Beim Blick über den Strand voller Boote erzählen die beiden, wie gut sich ihr Sport in den vergangenen Jahren entwickelt hat. Grunwald: „Es kommen nicht die ganz jungen, sondern eher Menschen, die schon ein gewisses Durchhaltevermögen besitzen.“ 

Die anderen Altersgruppen will der Deutsche Kanu-Verband mit anderen Angeboten ködern: Auf der Frühjahrstagung des DKV-Verbandsausschusses im Bremer Tagungszentrum schwärmt DKV-Präsident Thomas Konietzko über die Zuwachszahlen beim Stand-up-Paddeling, kurz SUP, und die Entwicklung allgemein: 1,22 Prozent an ­ Mitgliederplus können andere Sportverbände nicht vorweisen. Bei Kindern unter sechs Jahren sind es gar 7,2 Prozent mehr gewesen. 1500 neue Mitglieder hat der DKV insgesamt in 2017 begrüßt. Und doch sind noch Hunderttausende von Kanuten in Deutschland in Wirklichkeit gar nicht organisiert unterwegs. 

Wobei Inge Voigt-Köhler schon in den 1920er-Jahren gute Gründe für eine Mitgliedschaft in einem Kanuverein gefunden hat. Die Ehefrau des Bremer LKV-Vorsitzenden Norbert Köhler hat in ihrem Medienarchiv des Landesinstitutes für Schule wahre Foto-Schätze ausgegraben: Feiertags und sonntags ging es mit Krawatte und Stöckelschuh in die offenen Boote. Auf den Torfkahngräben ging es in die Bremer ­Umgebung. Ozeanriesen wie die alte „Bremen“ des Norddeutschen Lloyd begleitete man im Bootspulk die Weser hinunter. Die eingepackten Faltboote mussten kurzerhand mit im Zug ins Binnenland fahren, um Europas Flüsse schon in den frühen 30er-Jahren abzupaddeln. Inge Voigt-Köhler: „Zusammen im Verein macht das mehr Spaß als allein."

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Mit Krawatte und Stöckelschuh kriegt der Verband aber niemanden mehr in die Vereine: Da sollen eher Massenspektakel Mitglieder ziehen – wie das XXL-Paddelfestival in Markkleeberg am Wochenende mit 3000 erwarteten Besuchern oder die Bremer Tidenrallye am 2. Juni: Von Norden werden 400 Boote erwartet.