wk 26 9 20 Seite26 kSERIE WASSERSPIELE, TEIL 12: Kanu- und Paddelsport hat in Bremen eine lange Tradition

WESER-KURIER-Reporter Jean-Pierre Fellmer hat sich für die Wasserspiele-Serie von erfahrenen Kanuten den Paddelsport zeigen lassen.

Ein Wort dürfe in diesem Bericht nicht auftauchen, zumindest nicht im falschen Kontext, sagt Arend Weinreich. Das Wort, von dem der Kanute spricht, ist Rudern. Nicht selten würden Laien und Medienschaffende Kanusportler fälschlicherweise als Ruderer bezeichnen. Dabei ist es einem Witz zufolge ganz einfach, beide Sportarten auseinanderzuhalten. Kanuten sagen­: „Schau mal da vorne, eine Kneipe! Da können wir Pause machen.“ Ruderer sagen: „Mist, da hinten war eine Kneipe! Da hätten wir Pause machen können.“ Ruderer fahren rückwärts, Kanuten vorwärts. Wer sich aber nur ein wenig mit dem vielseitigen Kanusport beschäftigt hat, braucht diese Eselsbrücke nicht mehr.

Ein Donnerstagnachmittag an der Grollander Ochtum in Woltmershausen. Nach und nach treffen die Kanutinnen und Kanuten am Bootshaus des Wassersportvereins Warturm ein, heute ist Training. Während einige Sportler ihre Kajaks vorbereiten, etwa die Fußstützen ihrer Boote richtig einstellen, holt Arend Weinreich sein Gefährt aus dem Bootshaus – eins von rund 70 Booten, die in der Halle lagern. Weinreich ist Übungsleiter und trainiert heute die Anfänger, später geht auch noch eine Gruppe an erfahrenen Paddlern aufs Wasser. Zu zweit tragen die Kanuten ihre Boote zum Steg oder befestigen wie Weinreich an einem Ende des Kajaks einen Transportwagen, einen rollbaren Untersatz, mit dem sich das Boot auch alleine schieben lässt. Am Wasser angekommen, erwartet den unerfahrenen Wassersportler die erste Herausforderung: das Einsteigen. „Mit einer Hand stützt du dich auf den Steg am Festland und verlagerst dein ganzes Körpergewicht auf diesen Arm“, erklärt Weinreich. „Mit der anderen Hand hältst du dich am vorderen Süllrand fest.“ Trotz Anleitung ist das eine wackelige Angelegenheit. Für Mitglieder mit Beeinträchtigungen hat der Verein daher eine Einstiegshilfe gebaut: Eine Metallschiene am Land, in die das Boot gelegt werden kann. Der Sportler kann auf festem Untergrund einsteigen und sich entlang der Schiene ins Wasser ziehen, Rollen am Boden der Konstruktion erleichtern das.

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Arend Weinreich ist Übungsleiter beim Wassersportverein Warturm. Seit 1988 betreibt er Kanusport, seit 1992 ist er im Vereinsmitglied bei den Warturmern

 

Die Kajaks liegen im Wasser, die Fahrt beginnt. Die Kanuten verwenden ein Doppelpaddel, Weinreich erklärt die Technik: „Halte das Paddel mit ausgestreckten Armen vor dich, ungefähr auf Augenhöhe“, sagt er. Das Paddel wird nah am Boot erst auf der einen Seite, dann auf der anderen Seite eingetaucht – die Arme bleiben ausgestreckt. Das klingt leichter, als es ist, als Anfänger driftet man schnell vom Kurs ab. „Wenn du zu stark in eine Richtung fährst, mach einen kräftigen Paddelschlag auf dieser Seite und verlagere dein Gewicht wie beim Radfahren in der Kurve.“ Wem das Manöver misslingt, fährt auch schon einmal ins Gestrüpp am Ufer. „Wenn dir Äste entgegenkommen, lehn’ dich nach vorne“, erklärt Weinreich. „Auf keinen Fall solltest du dich an ihnen festhalten.“ Denn im schlimmsten Fall zieht es den Kanuten aus dem Boot, das ohne ihn weiterfährt.

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In der Schleuse müssen die Kanuten kurz zusammenrücken.

Auch bei den Begriffen Kanu, Kajak und Kanadier gibt es bei Laien Unstimmigkeiten. „Kanu ist der Oberbegriff“, erklärt der 54-jährige Kanute. Kajaks haben fast immer ein geschlossenes Deck, sie sind schmal und werden mit dem Doppelpaddel angetrieben. Kanadier hingegen haben immer ein offenes Deck, in ihnen nutzen die Kanuten das Stechpaddel, das im Gegensatz zum Doppelpaddel nur ein Paddelblatt hat. Die beiden Bootstypen sind die geläufigsten, es gibt sie in vielen Varianten und aus unterschiedlichen Materialien wie Polyethylen, glasfaserverstärktem Kunststoff oder Carbon. Neben Kajak und Kanadier gehören auch Drachenboote und andere Typen zur Gattung Kanu.

Die Kanuten auf der Grollander Ochtum erreichen eine Schleuse. Nacheinander fahren sie in das schmale, mit Betonwänden umgebene Becken und parken eng verzahnt. Freundlicherweise ist ein Vereinsmitglied vom Bootshaus zur Schleuse spaziert, um die Kurbel zu drehen – keiner muss sein Boot verlassen. Auf der anderen Seite geht es weiter Richtung Norden. Es ist ruhig auf dem Wasser. Bis auf die Paddler keine Spur von anderen Menschen. Auf einmal zischt es am Uferrand. „Hier gibt es Schlangen, Ringelnattern zum Beispiel.“ Weinreich gefällt es in der Natur, beim Paddeln bekomme er Bilder geboten, die er woanders nicht zu sehen bekomme. Paddeln würde er das ganze Jahr, auch im Winter. „Im Kajak ist es wärmer, als die meisten Leute denken.“ Zudem wehe der Wind über den Fluss und die Kanuten hinweg. Der 54-Jährige findet Paddeln im Winter deutlich angenehmer als etwa Radfahren. Durch Handschuhe, die mit dem Paddel verbunden sind, bleiben auch die Hände warm. „Und man hört das Eis am Ufer knistern“, sagt Weinreich.

Auf dem Wasser begegnet die Gruppe Marcus Winde. Auch er ist einer der 190 Mitglieder bei Warturm, arbeitet beim Deichverband in der direkten Nachbarschaft zum Verein. Er sei schon als Kind einige Male Kanu gefahren, seit einem Jahr ist er aktiv im Verein. „Das Paddeln ist gut, um sich abzureagieren und den Kopf frei zu bekommen“, sagt er. Nicht nur dem Kopf, auch dem Körper tut das Paddeln gut: „Beim Kanufahren bewegt man das gesamte Körpergewicht inklusive Boot mit dem Oberkörper“, sagt Weinreich. Ein gutes Training für den Rücken und die Arme, aber auch für den gesamten Oberkörper.

„Der Kanusport ist sehr vielseitig“, sagt Weinreich. „Man kann gemütlich eine Runde am Abend drehen, sich den Sonnenuntergang bei einem Glas Wein und etwas Käse anschauen.“ Aber auch das Rafting, das Fahren mit einem Schlauchboot auf wilden Gewässern, gehöre zum Kanusport dazu. Weinreich hat schon viel ausprobiert. Mit seinem Seekajak, das er auch an jenem Donnerstag fährt, kann er auch auf offenen Gewässern fahren. In seinem Sportgerät sind Luken eingebaut, in denen viel Platz für Zelt, Verpflegung und alles andere ist, was er auf Reisen braucht. Damit war er schon auf Kanutouren von sogar einer Woche oder länger unterwegs.

Die Warturmer sind an einer Abzweigung angekommen. Sie könnten jetzt den Ochtumer Rundkurs fahren, drehen aber um. Sie müssen noch ein paar Vorbereitungen treffen und ein paar Boote verladen. „Ein paar Vereinsmitglieder und ich fahren morgen zur Flensburger Förde“, sagt Kanute Weinreich. Sie machen einen Ausflug nach Dänemark. Auf dem Wasser und selbstverständlich vorwärts.

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2250 Mitglieder in 35 Vereinen

Jean-Pierre Fellmer

Laut Norbert Köhler, Präsident des Landes-Kanu-Verbands (LKV) Bremen, gibt es im Land Bremen 35 Kanu- und Paddelvereine mit insgesamt rund 2250 Mitgliedern. Die Zahl der Kanuten sei dabei in den vergangenen Jahren recht stabil geblieben. Der Organisationsgrad, also der Anteil der vereinsangehörigen Kanuten im Vergleich zur Gesamtbevölkerung, liege bei 0,33 Prozent und ist damit mehr als doppelt so hoch wie der Bundesdurchschnitt. Der Bremer Kanu- und Paddelsport ist Köhler zufolge unter anderem wegen der langen Tradition am Wasser stark ausgeprägt. 1920 wurde der Bremer Kanu-­Club als erster eingetragener Kanusportverein gegründet, 2003 wurde er allerdings aufgelöst. In der Nachkriegszeit gründete sich 1948 in Bremen der Fachverband Wassersport unter anderem mit der Sparte Kanusport. Die Sparte wurde im darauffolgenden Jahr in Landes-Kanu-Verband Bremen umbenannt.

Laut Internetseite des LKV können in Bremen 14 Kanudisziplinen ausprobiert werden. Dazu gehören unter anderem Kanuwandern, mit dem das übliche Fahren auf dem Wasser gemeint ist, Kanu-Segeln oder auch Stand-up-Paddeln. In den 60er-Jahren bestand der LKV laut Köhler zu 80 Prozent aus Motorbootkanuten, heute werde jedoch wieder mit Muskelkraft gepaddelt. Der LKV hat vor rund vier Wochen auch eine eigene App veröffentlicht. Mehr Infos dazu sowie rund um den Kanusport in der Freizeit und oder als Wettkampf gibt es auf der Internetseite des Landesverbandes unter www.kanu-bremen.de.